Das Lied der Nacht by V.C. Andrews

Das Lied der Nacht by V.C. Andrews

Autor:V.C. Andrews [Andrews, V.C.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783955306618
Herausgeber: Edel eBooks
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00


11

Wieder zu Hause, endlich wieder zu Hause

Ich beschloß aufzubrechen, ohne mich von irgend jemandem zu verabschieden. Ich wußte, daß Mommy eine glaubhafte Geschichte erfinden würde, die sie Mel Jensen und den anderen vorsetzen konnte. Inzwischen war ihr das Lügen so sehr zur Gewohnheit geworden wie das Atmen. Vielleicht war es schon immer so gewesen. Ich nahm ein Taxi zum Flughafen und richtete es so ein, daß ich den Nachtflug von Los Angeles nach Boston erwischte. Eine Zeitlang liebäugelte ich mit dem Gedanken, nach New York zurückzufliegen, um dort Holly und Billy einen Besuch abzustatten, aber der Sommer neigte sich schon dem Ende zu. Vor mir lag noch mein letztes Schuljahr, das ich gut abschließen wollte, und ich hatte es satt, mich anderen Leuten aufzudrängen und ihr Leben auf den Kopf zu stellen.

Es war ohnehin an der Zeit, daß ich erwachsen wurde, sagte ich mir, höchste Zeit, meinen Kinderglauben wieder in die Kiste zu packen, in der ich meine Wunschvorstellungen aufbewahrte, und für immer den Deckel über meiner Vergangenheit zuschnappen zu lassen. Ich mußte mich von der Hoffnung verabschieden, jemals eine richtige Mutter und einen richtigen Vater zu haben. Jetzt stand ich wahrhaft als Waisenkind da. Der einzige Mann, der mir ein echter Vater hatte sein wollen, war tot, und der Mann, der in Wirklichkeit mein Vater war, hatte diese Tatsache geheimgehalten und war froh darüber, daß er sich dieser Verantwortung hatte entziehen können.

In einem gewissen Sinne war meine Mutter zweimal gestorben: das erste Mal, als sie und Richard Marlin sich ihren Betrug ausgedacht und die Leiche einer Fremden im Sarg meiner Mutter zu uns geschickt hatten; und jetzt war sie ein zweites Mal für mich gestorben, nachdem ich sie wiedergefunden hatte und es mir mißlungen war, eine echte Mutter-Tochter-Beziehung wiederherzustellen und mütterliche Gefühle in ihr wachzurufen. Sie war mir wahrhaft zu einer Fremden geworden. Ich vergoß keine einzige Träne, als ich das Haus verließ, und ich konnte ihren Seufzer der Erleichterung hören, als sie die Tür hinter mir schloß. Ich hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht, und jetzt konnte sie wieder die Lüge leben, die sie schon immer hatte leben wollen.

Auf dem Rückflug nach Boston saß niemand neben mir im Flugzeug, und dafür war ich dankbar. Ich war nicht zu Gesprächen aufgelegt, und Fremden gegenüber war ich ohnehin auf der Hut, nach meiner üblen Erfahrung in New York, die beinah tragisch geendet hätte. Dieser Mann hatte mich doch tatsächlich reingelegt, und ich hatte seine Aktentasche voller Rauschgift nach Kalifornien mitgenommen. Ich schloß ganz einfach die Augen und döste vor mich hin. Den größten Teil des Flugs verschlief ich.

Als ich in Boston ankam, fragte ich mich zum Busbahnhof durch und kaufte mir dort eine Fahrkarte nach Provincetown. Es war schon spät am Morgen, als der Bus auf den Highway fuhr. Für ein Frühstück war mir nicht mehr genug Zeit geblieben, aber ich hatte ohnehin kaum Appetit. Ich fühlte mich betäubt und ausgelaugt, und jeder Kampfgeist und sämtliche Energien schienen mich verlassen zu haben. Die Ungeheuer, die in den Schatten lauerten, waren zu groß und zu bedrohlich, und noch dazu waren es so viele.



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